EIN MANIFEST DEUTSCHSPRACHIGER
WISSENSCHAFTLERINNEN
UND WISSENSCHAFTLER
(BIOWISSENSCHAFTEN, MEDIZIN)
UNTERZEICHNER / UNTERSTÜTZER
MITZEICHNEN / UNTERSTÜTZEN
„Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist.”
George Orwell, 1984
„So ging der Kaiser unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: „Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!“ Keiner wollte es sich merken lassen, dass er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht wie diese.
„Aber er hat ja gar nichts an!“, sagte endlich ein kleines Kind. „Hört die Stimme der Unschuld!“, sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte.
„Aber er hat ja gar nichts an!“, rief zuletzt das ganze Volk. Da bekam der Kaiser eine Gänsehaut, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: ,Nun muss ich es aushalten.‘ Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.“
Hans Christian Andersen
“Transfrauen sind Frauen. Deshalb sehe ich hier keinen Erörterungsbedarf.“
Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bei der Vorstellung der Eckpunkte zum Selbstbestimmungsgesetz
https://www.emma.de/artikel/selbstbestimmungsgesetz-339639
„Welches Geschlecht ein Mensch hat, kann kein Arzt von außen attestieren.“
Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung
https://x.com/in_diesem_sinn/status/1524752291558924294?s=20
https://www.spiegel.de/kultur/geschlechtsanpassung-befreit-sich-der-mensch-von-den-grenzen-der-biologie-a-5b85af6d-5d10-49c4-a9ab-e111d4a736a6
“Ein Penis ist nicht per se ein männliches Sexualorgan.“
MdB Tessa Ganserer
https://taz.de/Transsexualitaet-und-Politik/!5783177/
In der Debatte rund um den Begriff “Geschlecht” und das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ wollen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort melden – in dieser Form reichlich spät, wie wir selbstkritisch einräumen.
Wir verstehen uns als liberale, progressive, weltoffene, linke und feministische Stimmen, die für Pluralität und Toleranz einstehen. Alle Menschen müssen leben dürfen “nach dem Gesetz, nach dem sie angetreten”. Gerade deswegen aber sehen wir mit Sorge, wie fatal die Debatte um Sex und Gender derzeit läuft. Bestürzt müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass falsche und zum Teil regelrecht aberwitzige Verdrehungen (“weiblicher Penis”, “die Biologie ist längst weiter”, “es gibt mehr als zwei Geschlechter”) gerade denen in die Hände spielen, die unsere demokratische Vielfalt mit dumpfen Parolen bedrohen.
Wir melden uns, weil es für eine aufgeklärte Gesellschaft unerlässlich ist, auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter und allgemein anerkannter Fakten zu handeln und legitime politische Debatten im Kontext dieser geteilten objektiven Realität zu führen. Politische Prozesse definieren soziale und rechtliche Realitäten; der Versuch der Politik, wissenschaftliche Fakten zu setzen, ist jedoch eine Grenzüberschreitung.
Wir melden uns, weil wir glauben, dass eine gesetzliche Regelung wichtiger gesellschaftlicher Fragen, die so offenkundig gegen wissenschaftliche und rationale Standards verstößt, niemandem hilft – insbesondere auch nicht den Menschen, die sie zu schützen vorgeben. Im Gegenteil. Um uns zu wiederholen: Die fürchterlich Falschen nutzen diese Debatte für sich, sofern wir nicht endlich wieder zu den unstrittigen biologischen Fakten zurückkehren.
Dabei geht es uns nicht darum, selber Gesetzesinhalte biologisch begründet definieren zu wollen. Die Gesellschaft insgesamt muss ihre Gesetzesvorhaben demokratisch ausdiskutieren. Wir verwahren uns aber dagegen, dass naturwissenschaftlich haltlosen Thesen einfach naturwissenschaftliche Validität und Dignität per Gesetz zugeschrieben werden.
Dies vorausgeschickt halten wir fest:
Der funktionale Begriff “Geschlecht” ist in der naturwissenschaftlichen Community unstrittig: Biologisch gibt es bei allen Arten, die sich über das Verschmelzen ungleich großer Keimzellen vermehren (Anisogamie), nur zwei Arten von Keimzellen – und daraus abgeleitet zwei Geschlechter, die als männlich und weiblich bezeichnet werden. Dieses System ist vor geschätzt 1500 Millionen Jahren entstanden und findet sich bei Pflanzen und Tieren; der Mensch stellt hier keine Ausnahme dar. Organismen, die beide Arten von Keimzellen bilden, Hermaphroditen, sind sowohl männlich als auch weiblich – aber kein drittes Geschlecht. Solche sind zudem beim Menschen noch nicht beobachtet worden – Menschen sind entweder weiblichen oder aber männlichen Geschlechts. Ebenso ergeben sich aus Varianten im Karyotyp, der Hormonproduktion oder der Anatomie – bei sogenannten Varianten der Geschlechtsentwicklung – keine weiteren Geschlechter oder „Geschlecht als ein Spektrum“. Die Binarität des Geschlechts ergibt sich aus der Anzahl der Typen von Keimzellen.
Das Geschlecht hat einen Einfluss auf eine Vielzahl physiologischer und psychologischer Merkmale, ist aber nicht determinierend. Was sich daraus nämlich weder konzeptionell noch evidenzbasiert ableiten lässt, ist eine strikte Binarität im Phänotyp, Verhalten, oder in den Präferenzen: Innerhalb der Geschlechter gibt es eine teilweise erhebliche Variabilität, und Überlappungen von Merkmalausprägungen zwischen den Geschlechtern ist die Regel, nicht die Ausnahme. Mann und Frau definiert sich zum Beispiel nicht aus der Menge an gebildeten Geschlechtshormonen – die unterschiedliche Menge der verschiedenen Geschlechtshormone ist eine funktionale Konsequenz der embryonalen Differenzierung der Keimdrüsen hin zur Produktion von Eizellen oder Spermien. Geschlechtsspezifische Referenzbereiche, beispielsweise für Östrogen, sind wichtig, um Abweichungen als Ursache oder Folge körperlicher Störungen zu identifizieren – aber eine Frau wird nicht dadurch „weniger Frau“, dass sie nach der Menopause deutlich weniger Östrogen produziert.
Auf dieser biologischen Grundlage der Zweigeschlechtlichkeit gibt es kulturelle und soziale Erwartungen und Geschlechterrollen. Es ist ein Kennzeichen liberaler Gesellschaften und eine große Errungenschaft der Emanzipationsbewegung des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, dass Geschlechterrollen keinen zwingenden Charakter mehr haben und dem Individuum alle gesellschaftlichen Rollen unabhängig vom Geschlecht offen stehen. Eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist nur im Rahmen eines speziellen Schutzes bezüglich spezifischer Vulnerabilitäten von Frauen vorgesehen, dazu gehören zum Beispiel nach Geschlecht getrennte Gefängnisse.
Die rechtliche Gleichstellung und kulturelle Emanzipation bringen gesellschaftliche Erwartungen nicht ganz zum Verschwinden. Nach wie vor gelten etwa gewisse Kleidungsstücke als weiblich und andere als männlich. Aufgrund solcher Erwartungen sowie einer Vielzahl psychosozialer Faktoren gibt es Menschen, die lieber dem anderen oder keinem Geschlecht zugehörig sein möchten. Um diesem Bedürfnis zu entsprechen, bieten verschiedenen Jurisdiktionen die legale Fiktion eines Wechsels des Geschlechts, womit eine Person rechtlich dem anderen Geschlecht zugeordnet wird. Bei der Ausgestaltung der entsprechenden Normen müssen die Bedürfnisse dieser Minderheit gegen andere Rechtsgüter, wie etwa frauenspezifische Schutzräume, abgewogen werden.
Es ist wichtig festzuhalten, dass es sich beim “Geschlechtswechsel” um eine legale Fiktion ohne biologische Entsprechung handelt. Medizinische Maßnahmen können äußere Merkmale des menschlichen Körpers denjenigen des anderen Geschlechts optisch annähern, nicht jedoch das biologische Geschlecht ändern. Weil solche Maßnahmen mit erheblichen Einschränkungen verbunden sind, in aller Regel lebenslanger medizinischer Behandlung bedürfen und sehr oft die reproduktiven und sexuellen Funktionen erheblich beeinträchtigen, ist das Narrativ, dass das Geschlecht nicht durch die Biologie des Körpers, sondern durch die Überzeugung des Individuums bestimmt wird, besonders für Jugendliche höchst gefährlich. Die staatliche Kommunikation sollte nicht eine falsche Beliebigkeit der Tatsachen, sondern die Freiheit innerhalb der objektiven Realität vermitteln. Ebenfalls sollten jene, die solche Eingriffe in Betracht ziehen, umfassend über deren Folgen und Risiken informiert werden.
Über all dies gibt es in den Biowissenschaften jenseits eines unbedeutenden “lunatic fringe” auch keinerlei ernsthafte Debatten. Alles Gerede a la „Da muss ich Ihnen sagen, dass die Biologie inzwischen weiter ist…“ ist unwissenschaftlicher Unfug. So wie es unwissenschaftlich ist, soziologische und kulturelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen als naturgegebene Konsequenz des biologischen Geschlechts zu begründen, ist es unwissenschaftlich, phänotypische Variationen, individuelle Präferenzen in Kleidung, Auftreten und Verhalten zu weiteren Geschlechtern umzudeuten: Ersteres ist klassischer Biologismus, letzteres geht über Sozialkonstruktivismus hinaus und negiert biologische Grundlagen. Die Wissenschaft unterscheidet aus guten Gründen „Sex“, das biologische Geschlecht, von „Gender“, den unterschiedlichen Rollen und Erwartungen, die von der Gesellschaft an die jeweiligen Geschlechter herangetragen werden und innerhalb derer sich die Einzelperson mit ihrer Identität verortet. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) soll eine von der deutlichen Mehrheit der naturwissenschaftlichen Community abgelehnte und auch in der geisteswissenschaftlichen Community keineswegs unumstrittene Theorie gesetzlich verpflichtend gemacht werden.
Es hat uns fassungslos gemacht, dass Mitglieder der Fraktionen der Ampelparteien im Bundestag in Antworten auf kritische Emails zum SBGG auf einen Artikel verweisen (Im Raster der Zweigeschlechtlichkeit | Gen-ethisches Netzwerk e.V. (link), der offenbar als vermeintlich wissenschaftliche „Argumentationshilfe“ fungieren soll. Diverse der im Artikel vertretenen Thesen sind falsch – und sie sind es in einem erschreckenden Ausmaß. So werden dort allen Ernstes Menschen mit Abweichungen der Geschlechtsentwicklung (unter der irreführenden und veralteten Bezeichnung „Intersex“) als Zugpferde vor den Karren des Pro-SBGG-Aktivismus gespannt, ihre medizinischen Bedürfnisse negiert und ihre bis hin zu lebensbedrohlichen Komplikationen reichenden Symptomatiken als „Identität“ geframed. Es bedarf einer besonderen Art von Skrupellosigkeit, Menschen, die von über 40, teils sehr unterschiedlichen, aber immer realen, körperlichen Veränderungen betroffen sind, in einen Topf zu werfen, ihr Recht auf medizinische Diagnostik und Behandlung in Frage zu stellen, und das als positiven Einsatz für Minderheiten verkaufen zu wollen.
Um ein konkretes Beispiel aus dem o. g. Essay zu nennen: Dort wird aus der (unstrittigen) Tatsache, dass es im Lauf des Lebens immer wieder in einzelnen Körperzellen zu Mutationen kommt, die Möglichkeit abgeleitet, dass Menschen im Laufe ihres Lebens genetisch das Geschlecht wechseln. Dies ist schlicht unmöglich – zum Einen kann sich bei weiblichen Personen mit XX Chromosomen durch Mutation kein Y-Chromosom bilden. Dazu müssten Gene, die nur auf dem Y-Chromosom lokalisiert sind, de novo gebildet werden – dies ist schlicht nicht möglich. Umgekehrt hat bei männlichen Personen mit XY Chromosomen der Verlust eines Y-Chromosoms außerhalb der Hoden selbst während der Embryonalentwicklung keine Auswirkungen auf die Entwicklung der Geschlechtsorgane. Zum anderen erneuern sich Hoden nicht komplett, sollten also einzelne Zellen das Y-Chromosom verlieren, ändert das nichts an der Produktion von Spermien und Androgenen. Ohne jegliche Evidenz werden abstruse Behauptungen aufgestellt und verbreitet – und auf diesem „Niveau“ findet die Debatte statt. Das ist nicht einmal schlechte Wissenschaft – das ist schlicht hanebüchener, grober Unfug! Das ist, mit Karl Kraus zu sprechen, so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr sein kann. Jede Biologiestudentin, jeder Biologiestudent würde dafür zurecht durch die Zwischenprüfung fliegen. So argumentieren unsere Abgeordneten für das SBGG!
Wir wollen keine Herrschaft der Experten. Die Gesellschaft insgesamt muss demokratisch entscheiden, wie sie mit Problemen rund um Geschlechtlichkeit umgeht.
Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verwahren uns aber dagegen, dass basierend auf vermeintlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen falsche Tatsachenbehauptungen als Fakten verbreitet und als Argumentation für ein Gesetz herangezogen werden. „Die Wissenschaft“ hat mitnichten „längst festgestellt“, dass es mehr als zwei Geschlechter gebe. Ganz im Gegenteil. Und wer, gut begründet, an der Zweigeschlechtlichkeit von Pflanzen und Tieren, inklusive des Menschen, festhält und diese Zweigeschlechtlichkeit weiterhin für auch sozio-kulturell relevant hält, verbreitet keine “rechten Narrative”. Speziell dieser immer wieder erhobene Vorwurf ist, wie Thomas Mann gesagt haben würde, aufgelegter Unsinn. Merken die Betreffenden denn wirklich nicht, dass am Ende sie es sind, die damit den Rechten in die Karten spielen?
Um Regelungen zu finden, die allen helfen und allen und allem Rechnung tragen, braucht es nicht möglichst schnell das SBGG, sondern eine ehrliche gesellschaftliche Diskussion. Wir plädieren dafür, dass diese Diskussion endlich geführt wird, respektvoll gegenüber allen Interessengruppen. Und dies sollte möglich sein ohne dass die Realität verdreht oder verleugnet wird, ohne dass naturwissenschaftlicher Unfug geredet wird und ohne dass Debattenbeiträge einfach ad nauseam als “rechts” geframed werden. Kurzum: Ohne dass irgendwer die nicht vorhandenen neuen Kleider des Kaisers loben oder die nicht vorhandene Schleppe tragen muss.
Mit Claire Ainsworth sagen wir:
“No, not at all. Two sexes, with a continuum of variation in anatomy/physiology.”
Schicken Sie uns eine Email an info@pro–realitaet.de oder nutzen Sie das untenstehende Kontaktformular.
Bitte geben Sie dabei an:
– Ihren Namen
– Ihre Funktion / Qualifikation
– ob Sie selbst biowissenschaftlich oder medizinisch tätig sind
– ob Sie öffentlich mit diesen Angaben auf der Unterzeichner / Unterstützer-Liste erscheinen möchten
Vielen Dank!
Ergänzung 11.04.2024 aus gegebenem Anlass:
Da wir uns als liberale, progressive, weltoffene, linke und feministische Stimmen, die für Pluralität und Toleranz einstehen, verstehen, wollen wir uns aktiv gegen Personen abgrenzen, die sich menschenfeindlich (z.B. homophob oder rassistisch) äußern oder sich in Parteien und Institutionen mit solchen Sympathien engagieren. Wir halten diese Sichtweisen für nicht mit unserer vereinbar, auch wenn in fachlichen Fragen Übereinstimmung herrschen mag. Deswegen werden wir solchen Haltungen hier keine Öffentlichkeit geben und bitten die Betreffenden, von einer Unterzeichnung abzusehen.